„Der Kapitalmarkt ist schon neugierig geworden”
„Der Kapitalmarkt ist schon neugierig geworden”

Manche Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft sollten endlich den selbstgewählten Schmollwinkel verlassen, findet der EU-Parlamentarier Christian Ehler (EVP/CDU) im Interview mit Wirtschaftsjournalist Andreas Molitor. Bei den gewaltigen Umwälzungen der Zukunft weist er der Kreativität eine entscheidende Rolle zu.

„Der Kapitalmarkt ist schon neugierig geworden”

Manche Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft sollten endlich den selbstgewählten Schmollwinkel verlassen, findet der EU-Parlamentarier Christian Ehler (EVP/CDU) im Interview mit Wirtschaftsjournalist Andreas Molitor. Bei den gewaltigen Umwälzungen der Zukunft weist er der Kreativität eine entscheidende Rolle zu.

„Der Kapitalmarkt ist schon neugierig geworden”

Die europäische Idee droht zu zerfallen und sich in nationalen Partikularinteressen aufzulösen. Warum sollte man sich da eigentlich noch Gedanken über das Wohlergehen der Kultur- und Kreativwirtschaft in europäischen Kontext machen?
Aus der Frage spricht so ein typisch deutscher Kulturpessimismus – und das ist ein geradezu selbstmörderischer Herangang an die Dinge. Die Larmoyanz, die da herausklingt, entspricht überhaupt nicht der gelebten Realität. Zu den Gruppen, die in höchstem Maße von Europa, von der europäischen Idee profitieren, zählen doch Künstler und Kreative. Noch nie in der Geschichte gab es einen so unbürokratischen Austausch von Kunst und Kultur. Das politische Europa steckt sicher in der Krise, aber in seinen Auswirkungen für Künstler und Kreative war Europa noch nie so erfolgreich wie heute.

„Schafft ein positives Narrativ von Europa und setzt es dem negativ geprägten Europabild der Nationalist*innen und Populist*innen entgegen“ – so heißt es häufig an die Adresse der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ist das nicht eine Überforderung?
Niemand fordert, dass jetzt alle mit künstlich erzeugten Narrativen tapfer die Idee der europäischen Einheit hochhalten. Man hat sich doch, beispielsweise in der Filmförderung, zum Glück längst verabschiedet von der Denke, das Ideal sei eine spanisch-österreichisch-rumänische Koproduktion mit einem dänischen Regisseur. Gefördert wird heute nicht europäischer Einheitsbrei, sondern Diversität in Europa. Der Europäische Filmpreis etwa ist damit verbunden, dass preisgekrönte Filme die finanziellen Mittel bekommen, in 16 europäische Sprachen übersetzt zu werden.

Beklagen sich manche Akteur*innen vielleicht zu oft und zu laut, dass ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft nicht ausreichend wertgeschätzt wird, dass sich nicht genügend Investor*innen finden, die bereit sind, ihr Wagnis zu finanzieren?
Ich nenne das die intellektuelle und moralische Überlegenheit des Opfers. Die ist zwar eine interessante Haltung, aber sie ist relativ folgenlos. Wir verzeichnen in der Kreativbranche über die vergangenen Jahre hinweg ein Wachstum wie in keiner anderen Branche in Europa. Die Creative Industries weisen den höchsten Anteil aller Branchen an Beschäftigten unter 30 Jahren auf. Aber immer wieder ist man ein bisschen beleidigt, weil es doch so gemütlich war, sich in der Empörung der eigenen Forderungen eingerichtet zu haben. Also – die Behauptung, dass die äußeren Bedingungen für Kunst, Kultur und Kreativität sich verschlechtert hätten, ist schlicht falsch. Der Status quo ist nicht der des Elends, auch wenn künstlerische Aktivitäten risikobehaftet und hinsichtlich der sozialen Absicherung oft problematisch sind.

Wie sehen Sie das Spannungsverhältnis zwischen Kreativität und dem Streben nach wirtschaftlichem Erfolg?
In der Branche beäugen sich viele misstrauisch und befinden sich auch selbst in einer Art inneren Spagat: Auf der einen Seite lehnt man die Kommerzialisierung ab, auf der anderen Seite will man wirtschaftlichen Erfolg. Und das ist ja auch völlig normal. Ich habe ganz selten Maler erlebt, die wollen, dass möglichst wenige Leute ihre Bilder anschauen oder kaufen. Kunst und Kultur will doch Anerkennung, und dazu gehört auch ökonomischer Erfolg. Diese seltsame Argumentation, das Nicht-Kommerzielle sei künstlerisch per se wertvoller, halte ich für irreführend. Fast alle Geschäftsmodelle von Kreativen im Internet, beispielsweise in der Gaming-Industrie, zielen auf wirtschaftlichen Erfolg ab. Ist das denn ein Grund, diesen Unternehmern Kreativität abzusprechen? Sie sind doch nicht weniger kreativ, nur weil sie ganz klar einen kommerziellen Ansatz verfolgen.

Müsste man noch mehr nachdenken über alternative Finanzierungsinstrumente? Für klassische Venture Capitalists oder Company Builder ist die Kultur- und Kreativbranche bislang ja eher uninteressant.
Da gibt es mit Sicherheit noch Informationsdefizite auf beiden Seiten. Wir wollen ja, dass der Kapitalmarkt sich ändert. Und er ist schon neugierig geworden. Momentan befinden wir uns auf europäischer Ebene in intensiver Diskussion mit Kapitalgebern. Und wir haben schon einiges auf den Weg gebracht, nämlich ein Pilotprogramm mit einen Volumen von 120 Millionen Euro, aus dem nicht besicherte Mikrokredite für Kunst- und Kulturprojekte vergeben werden. Also ohne ein Häuschen als Sicherheit. Wir, also letztlich der EU-Haushalt, sichern das Risiko der Banken ab. Am Anfang hat man uns erklärt, dass wir dieses Geld ja wohl nie wiedersehen werden. Doch dann hat sich herausgestellt, dass die Rückzahlungsquoten dieser Kredite höher sind als bei vergleichbaren Programmen in der Industrie – nicht zuletzt weil Künstler und Kreative eine ganz starke intrinsische Motivation haben und alles daran setzen, dass etwas wird aus ihrer Idee.

Der Kapitalmarkt wird trotzdem nicht die Theatersubventionen ersetzen.
Das wird er nicht. Aber es wird viele Leute geben, die beispielsweise im Theater oder beim Film beruflich sozialisiert wurden und dann in Crossover-Disziplinen wechseln. Filmkomponisten etwa waren früher völlig von der Filmindustrie abhängig. Mittlerweile sind in der Gamingindustrie völlig neue Märkte für sie entstanden. Dort entstehen unglaublich innovative, aber teils auch diskussionswürdige Dinge. Auf der letzten Ars Electronica präsentierte sich ein Komponist, der mit künstlicher Intelligenz ein System zur Produktion von Filmmusik entwickelt hat. Es gibt ja gar nicht genug Filmkomponisten, um die Musik für all diese Games, die teilweise über tausend Stunden laufen, zu kreieren.

Welche Rolle wird die Kreativ- und Kulturwirtschaft bei den großen Transformationsthemen spielen? Bei der Digitalisierung, bei der Frage, wie Mobilität in den Städten aussieht, bei der Frage, wie wir wohnen, was wir essen, wie wir uns kleiden und wie wir arbeiten?
Wir stehen vor der Frage, welche gesellschaftliche Akzeptanz bestimmte Dinge haben. Die müssen als Kulturtechniken erst erlernt werden und eine gewisse Attraktivität bekommen. Schauen Sie sich die Textilbranche an. In spätestens zwanzig Jahren werden wir intelligente Kleidungsstücke tragen, die mehrheitlich nicht mehr aus Baumwolle bestehen. Ein T-Shirt wird die Herzfrequenz messen oder diagnostizieren können, ob eine Frau schwanger ist. So etwas muss diskutiert werden. Wie übersetzen wir das in gesellschaftliche Akzeptanz? Man muss die Menschen an solche Veränderungen heranführen, sie mit ihnen versöhnen. Bei fast all diesen hochkomplexen Transformationsprozessen wird Kreativität eine entscheidende Rolle spielen.

Es heißt ja immer, künstliche Intelligenz sei der eigentliche Treiber der Transformation…
Beides gehört untrennbar zusammen. Über künstliche Intelligenz werden wir verändern, wie unsere Gesellschaften organisiert sind. Wir werden beispielsweise viel weniger Menschen benötigen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Aber was machen dann diese Menschen sinnhaft mit ihrem Leben? Die Kreativität, den zu erlernenden neuen Fähigkeiten eine Attraktivität zu geben, wird eine entscheidende Kulturtechnik sein. Auf allen Konferenzen über künstliche Intelligenz sind sich die Spitzenforscher einig, dass Kunst und Kultur in einer Gesellschaft, die sich nicht mehr primär über Arbeit definiert, entscheidend stärker in unser Leben treten werden. Schon heute werden im Silicon Valley Lehrstühle für künstliche Intelligenz mit Lehrstühlen für Kunst und Kultur institutionell vernetzt. Die künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die unsere Gesellschaft von Grund auf verändert – aber die positive transformative Deutung dieser Veränderung kann eigentlich nur über Kreativität und Kultur erfolgen.

Video zur Internationalen Fachkonferenz der Kultur- und Kreativwirtschaft:

Christian Ehler, geb. 1963 in München, ist seit 2004 CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament und gehört dort der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Der promovierte Volkswirt ist Vize-Vorsitzender des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung sowie des Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. 2014 gründete er mit seiner französischen Parlamentskollegin Pervenche Berès die Intergroup „Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa“. Intergroups sind kein offizielles EU-Organ. Sie bringen EU-Parlamentarier verschiedener Fraktionen zusammen, um Themen von gemeinsamem Interesse zu diskutieren.