In der Höhle des Löwen #Skalierung
In der Höhle des Löwen #Skalierung

Zu den besonderen Fähigkeiten von Philipp Hartmann gehört es, Sätze zu formulieren, die einschlagen wie Torpedos. „Unsere Formel 1, das sind Firmen mit Wachstumsraten von 20, 30, 40 Prozent – pro Monat.“ „Mit diesen Lifestyle-Unternehmern, die in Coworking-Spaces rumhängen und schon mittags beim Rosé sitzen, können wir nichts anfangen.“ „Eine Investition, die erst in fünf Jahren Früchte trägt? Machen wir nicht. Never.” Und schließlich, mit diabolischem Grinsen: „Fake it till you fucking make it.”

In der Höhle des Löwen #Skalierung

Zu den besonderen Fähigkeiten von Philipp Hartmann gehört es, Sätze zu formulieren, die einschlagen wie Torpedos. „Unsere Formel 1, das sind Firmen mit Wachstumsraten von 20, 30, 40 Prozent – pro Monat.“ „Mit diesen Lifestyle-Unternehmern, die in Coworking-Spaces rumhängen und schon mittags beim Rosé sitzen, können wir nichts anfangen.“ „Eine Investition, die erst in fünf Jahren Früchte trägt? Machen wir nicht. Never.” Und schließlich, mit diabolischem Grinsen: „Fake it till you fucking make it.”

In der Höhle des Löwen #Skalierung

Philipp Hartmann ist Mitgründer der in Berlin beheimateten Investmentfirma Rheingau Founders. Ein sogenannter Company Builder, eine Gebärmaschine für Tech-Start-ups. Bekanntestes der bisherigen Rheingau-Investments ist das Lieferservice-Portal Lieferando, das vor vier Jahren für mehr als 100 Millionen Dollar verkauft wurde.

100 Millionen Dollar – für das Gros von Hartmanns Zuhörern an diesem heißen Julinachmittag im Rheingau-Firmensitz in Berlin-Mitte ist das eine Summe wie von einem anderen Stern. Eingefunden haben sich Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) aus der ganzen Republik, begleitet von Business Angels, Vertretern öffentlicher und privater Institutionen, Beratern und Branchenexperten zu einem vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes veranstalteten Praxisworkshop. Das Sujet des Tages heißt „Skalierung“, also die Wachstumsfähigkeit von Geschäftsmodellen. Angesichts von Hartmanns Klartext wird dem einen oder anderen regelrecht schwindlig. „Die Respektlosigkeit vor dem Geld ist beeindruckend“, meint beim Rausgehen Esther Stühmer, eine Designerin aus Greifswald, die kürzlich zu einem von bundesweit 32 Kultur- und Kreativpiloten gekürt wurde. „Dass sich da einer hinstellt und sagt: ‚Manchmal verliert man halt einfach so mal so zwei Millionen.‘“

Die Zeit scheint reif für das Thema. Die KKW werde langsam erwachsen, meint Bernd-Wolfgang Weismann, Leiter des Referats Kultur- und Kreativwirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium. „Viele denken darüber nach, wie sie skalieren können, ohne gleich an den Exit zu denken.“ Zu diesem Erwachsenwerden gehöre auch, „sich ernsthaft damit zu beschäftigen, wie man mit finanziellen Ressourcen von anderen umgeht“.

Aus erster Hand, von den Besten der Szene, sollen die Kreativunternehmer erfahren, wie eine Idee in möglichst kurzer Zeit möglichst groß wird und sich in ein Unternehmen verwandelt, das Geld verdient. Bislang erreicht aus der Fülle der Ideen, die in der Kreativbranche geboren werden, nur ein Bruchteil den Markt. „In letzter Zeit haben wir es verstärkt mit Ideen zu tun, die gesellschaftlichen Mehrwert produzieren“, bilanziert Sylvia Hustedt, Projektleiterin im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft, „da würde es sich anbieten, diese Ideen zu skalieren und damit auch den gesellschaftlichen Impact zu vergrößern. Nur geschieht das in den meisten Fällen nicht.“

Was ist der Hemmschuh? Und was kann die Kreativbranche von den Skalierungsmodellen aus FinTech, eHealth oder Big Data lernen? Lassen sie sich übertragen? Was passt, was passt nicht? Und wer ist ein sinnvoller Skalierungspartner für Unternehmen der KKW? Eine Firmenfabrik wie Rheingau Founders, die mitunter rigide ins operative Geschäft eingreift und Fehler ausmerzt? Oder eher ein Venture Capital Fonds (VC), gleichfalls ein Frühphaseninvestor, der sich aber weniger stark ins Tagesgeschäft einmischt und eher als eine Art Coach an der Seite des Spielfelds agiert?

Auf der Suche nach Antworten begeben sich die Kreativunternehmer in die Höhle des Löwen. Außer bei Rheingau Founders machen sie Station bei Atlantic Labs, ein VC mit klarem Fokus auf der Embryonalphase von Unternehmen sowie bei Johannes Simon, bis vor kurzem Senior Manager der Inkubatorsparte des auf digitale Transformation spezialisierten Beratungshauses etventure. VC, Company Builder, Acceleratoren, Inkubatoren – das seien allesamt „Maschinen, die aus dem Rohmaterial der Ideen etwas Produktives machen“, sagt Johannes Simon und fügt gleich noch die aus seiner Sicht wichtigste Skalierungs-Grundregel hinzu: „Man muss Ideen, die nicht tragen, so früh wie möglich killen. Wenn man das rigoros macht, werden aus 200 Ideen vielleicht zwei Startups.“

Soziale, ökologische oder kulturelle Renditen finden bei den auf schnelle Skalierung fokussierten Investoren keine Beachtung – weil es sich nicht mit ihrem Geschäftsmodell verträgt. „Die Gelder, die wir investieren, kommen ja auch wieder von Investoren, und die haben ganz klare monetäre Renditeerwartungen“, erklärt Jens-Philipp Klein, Managing Partner von Atlantic Labs. „Impact Investing haben wir nicht auf dem Radar.“ Es sei „nicht Teil unserer Mission“, so Klein. „Außerdem fehlt uns das know-how, andere Faktoren als den finanziellen Return zu berücksichtigen.“

Zum Anspruch der Kultur- und Kreativwirtschaft, mit ihren Ideen einen Impact zu erzeugen, scheinen die Bewertungsparameter von Investoren wie Rheingau Founders oder Atlantic Labs nicht zu passen. „Kreativunternehmen wollen Dinge in der Gesellschaft verändern“, begibt sich Kristina Wilms, Gründerin des Start-ups „Arya“, das Apps für psychisch Kranke entwickelt, auf die Suche nach den Ursachen für das Mismatch. „Die Bewertungssysteme für Skalierbarkeit basieren aber auf dem Status Quo, auf dem, was jetzt ist. Allein schon deshalb passt es nicht zusammen.“

Da dürfte es andere, passgenauere Skalierungspartner geben. Philanthropisch ausgerichtete Kapitalgeber beispielsweise oder auch Family Offices, die große ererbte Vermögen verwalten. Derartige Investoren, das zeigt die Praxis, sind deutlich offener für nicht rein renditeorientierte Investments.

Für die Akteure der Kreativwirtschaft ist der Workshop auch eine wichtige Selbstverortung: Was bedeutet überhaupt Skalierung für Unternehmen der Branche? Will man skalieren und wie schnell? Ein kleines Theaterkollektiv aus der Lausitz dürfte diese Frage ganz anders beantworten als eine Tech-Firma wie Privalino, gegründet von Workshop-Teilnehmer Nicolai Erbs; ein Start-up, das Algorithmen entwickelt, die Gefahren für Kinder in Chats erkennen.

Eine Arbeitssession vor dem Besuch des Investoren-Trios definiert die Prioritäten der Unternehmen aus der KKW beim Thema Skalierung. „Geld“ wird erstaunlicherweise eher selten genannt. Anderslautende Stimmen – „Wenn jemand mit mir über Skalierung spricht, ohne auf das Thema Geld zu kommen, dann ist das ein Biertischgespräch“ – sind vor allem von Investorenseite zu hören. „Passendes Mindset“, „Werte“ und „Vertrauen“ stehen an erster Stelle. Welches sind die richtigen Geldgeber, die zu meinem Unternehmen, zur Idee, zu den Zielen passen? Bei den No-Go’s wiederum rangieren „Ideenklau“, „rein monetäre Interessen“ und „schlechte Reputation“ weit oben.

Aber wollen die Kreativunternehmer sich überhaupt in die Skalierungsmaschine begeben, wollen sie wachsen, groß werden, mit ihrer Idee womöglich reich werden? Jahrelang an der gleichen Idee feilen, sie perfektionieren, Geldgeber suchen, Leute einstellen, Prozesse standardisieren, Manager werden? Für viele ist das offenbar eine Bühne, die sie gar nicht erst betreten mögen. Sie befürchten, die Kreativität könnte in den Untiefen des Unternehmerdaseins verloren gehen. Arne Oltmann, Business Angel und Geschäftsführer des Start-up-Inkubators seedfeed GmbH sieht so manche Akteure aus der Kreativwirtschaft vor einer Grundsatzentscheidung: „Als was sehe ich mich – als edles italienisches Restaurant mit zehn Tischen oder als ein Vapiano mit 200 Filialen?“ „Wollt ihr überhaupt skalieren?“, fragt Johannes Simon in Richtung der Kultur- und Kreativunternehmer. „Wollt ihr eine große Company formen oder lieber weiter mit zwei Leuten arbeiten?“ Investorengeld bedeute „in der Regel auch Fremdbestimmung“; man ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Davor graust vielen Unternehmern der KKW. Sie wollen sich und ihre Seele nicht verkaufen.

Dabei birgt die Skalierung gerade für kreative Ideen großes Potenzial. „Skalierung hat doch auch etwas mit Wirkungsvergrößerung zu tun“, warnt Sylvia Hustedt vor allzu großem Argwohn. „Sie versetzt mich in die Lage, mit meiner Idee nicht nur wenige Menschen zu erreichen, sondern 1000 oder 10000 und damit auch ein anderes Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen.“

Aufgabenteilung statt Skalierung um jeden Preis – das könnte ein Lösungsansatz sein. Es müsste professionelle Skalierer geben, schlägt ein Teilnehmer vor, bei dem die Kreativen ihre Ideen abliefern, wenn sie selber keine Lust mehr drauf haben. Tolle Idee, meint Johannes Simon: „Da können die kreativen Köpfe richtig coole Sachen machen, richtig geilen Scheiß. Und dann kriegen das Leute beim Company Builder, die Bock drauf haben, die Ideen groß zu machen und zur Marktreife zu entwickeln.“